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Eigenbedarf bei Senioren: Wann gilt das Mietverhältnis als unkündbar?

Eine Eigenbedarfskündigung trifft grds. jeden Mieter hart. Bedeutet sie doch, dass er seine gewohnte Umgebung verlassen und sich auf die oft mühsame Suche nach einem neuen, bezahlbaren Zuhause begeben muss. Auch wenn es viele Fälle gibt, in denen dies nicht zutrifft, sind jüngere Menschen in einer solchen Situation in der Regel flexibler und verkraften die Kündigung besser als ältere Mieter, die schon das Renten- bzw. Pensionsalter erreicht haben. Es kursiert daher der verbreitete Irrglaube, Vermieter könnten Mietverhältnisse, an denen Senioren beteiligt sind, grds. nicht wegen Eigenbedarfs kündigen. Warum diese Annahme nicht zutrifft, wann Senioren aber doch die Möglichkeit haben, das Mietverhältnis trotz der Kündigung fortzusetzen, erfahren Sie in diesem Beitrag.

I. Eigenbedarfskündigung ist auch gegenüber Senioren grds. wirksam

Welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit der Vermieter eine Eigenbedarfskündigung aussprechen kann, ergibt sich ausschließlich aus § 573 Abs.2 Nr.2 BGB. Danach liegt Eigenbedarf vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt. Erforderlich, aber auch ausreichend ist es hierfür, dass die Wohnung von einer zulässigen Bedarfsperson genutzt werden soll und der Vermieter vernünftige und nachvollziehbare Gründe für seinen Nutzungswunsch hat (vgl. BGH, Rechtsentscheid vom20.01.1988 – VIII ARZ 4/87). Liegen diese Voraussetzungen vor und verfasst der Vermieter ein Kündigungsschreiben, das den formalen und inhaltlichen Anforderungen genügt, insbesondere mit einer ausreichenden Begründung versehen ist, ist die Eigenbedarfskündigung wirksam, sofern kein wirksamer Kündigungsausschluss vereinbart oder dem Mieter ein lebenslanges Wohnrecht eingeräumt worden ist. Persönliche Umstände des Mieters und die Folgen, die die Kündigung für ihn haben könnte, werden im Rahmen der Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung nicht berücksichtigt. Daher scheitert die Wirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung auch nicht daran, dass es sich bei dem Mieter um eine Seniorin oder einen Senior handelt.

II. Widerspruchsmöglichkeit mit Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses nur bei konkretem Härtefall

Auch wenn eine Eigenbedarfskündigung, die gegenüber Senioren ausgesprochen wird, unter denselben Voraussetzungen wirksam ist, wie eine Kündigung gegenüber jedem sonstigen Mieter, sind Senioren der Kündigung keinesfalls schutzlos ausgesetzt. Die persönlichen Belange des Mieters werden nämlich vom Gesetz durch § 574 Abs.1 S.1 BGB in der Weise berücksichtigt, dass dem Mieter ein Widerspruchsrecht zusteht, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für ihn, seine Familie oder einen anderen Angehörigen seines Haushalts eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Auch dann, wenn diese Voraussetzungen vorliegen und der Mieter einen form- und fristgerechten Widerspruch eingelegt hat, wird die vom Vermieter ausgesprochene Kündigung allerdings weder unwirksam noch hat der Widerspruch die automatische Fortsetzung des Mietverhältnisses zur Folge. Gem. § 574a Abs.1 S.1 BGB begründet der wirksame und berechtigte Widerspruch lediglich einen Anspruch des Mieters gegen den Vermieter auf Fortsetzung des Mietverhältnisses. Ist der Vermieter nicht bereit, die dafür erforderliche Fortsetzungsvereinbarung mit dem Mieter zu treffen, muss der Mieter den Vermieter hierauf verklagen. Im Prozess kann die Einigung dann durch Urteil ersetzt werden (vgl. § 574a Abs.2 S.1 BGB).

III. Widerspruchsrecht steht Senioren nicht automatisch zu

Eine allgemeingültige Regel, dass Senioren im Falle einer Eigenbedarfskündigung grds. zum Widerspruch berechtigt sind, gibt es nicht. Auch dann, wenn gegenüber Senioren eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen wird, muss im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen Umstände geprüft werden, ob die Voraussetzungen des § 574 BGB vorliegen. Die erforderlichen Voraussetzungen unter denen dem Mieter ein Widerspruchsrecht zusteht sind in § 574 Abs.1 BGB nur sehr allgemein umschrieben. In welchen konkreten Fällen eine Härte für den Mieter anzunehmen ist, ergibt sich aus dem Gesetz nicht. Lediglich in § 574 Abs.2 BGB ist ein Beispiel für eine Härte erwähnt, die dann vorliegt, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann.

Dass eine Eigenbedarfskündigung gegenüber Senioren stets eine Härte für diese begründet, ergibt sich aus dem Gesetz nicht und wird auch in der Rechtsprechung nicht vertreten. Ebenso wenig gibt es einen allgemeinen Grundsatz, dass ein hohes Alter des Mieters oder eine lange Mietdauer, die bei Senioren vielfach besteht, stets einen Härtegrund i. S. d. § 574 BGB begründen (vgl. OLG Karlsruhe, Rechtsentscheid vom 03. 07. 1970 – 1 REMiet 1/70; OLG Köln, Urteil vom 10. 03. 2003 – 16 U 72/02; LG Bochum, Beschluss vom 16.02.2007 – 10 S 68/06). Ein hohes Alter wirkt sich je nach Persönlichkeit und körperlicher sowie psychischer Verfassung des Mieters ganz unterschiedlich aus (vgl. BGH, Urteilvom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19). Auch Senioren höheren Alters können rüstig und flexibel sein, so dass Ihnen ein Umzug auch noch nach einer langen Mietdauer zuzumuten ist.

Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung, dass die genannten Umstände, nämlich ein höheres Alter und eine lange Mietdauer zwar nicht per se, aber auf Grund ihrer konkreten Auswirkungen auf die Lebensumstände und die Verfassung von Senioren durchaus nicht selten dazu führen, dass eine nicht zuzumutende Härte vorliegt, die zum Widerspruch berechtigt. In jedem Einzelfall gilt es allerdings, dies genau zu prüfen.

IV. Verwurzelung in der Umgebung auf Grund langer Mietdauer und altersbedingter schlechter Gesundheitszustand können eine Härte darstellen

Rein statistisch nimmt die Länge der Mietdauer zu, je älter der Mieter ist. Wird gegenüber Senioren eine Eigenbedarfskündigung ausgesprochen, kommt es daher nicht selten vor, dass hierdurch ein langes, ggf. sogar Jahrzehnte bestehendes Mietverhältnis beendet werden soll. Lebt ein Mieter sehr lange Zeit in derselben Wohnung, führt dies in vielen Fällen zu einer besonderen Verwurzelung in der Umgebung. Einen Automatismus in der Weise, dass eine langjährige Mietdauer für sich genommen auf eine tiefe soziale Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietsache schließen lässt, gibt es allerdings nicht. Vielmehr hängt deren Entstehung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab, namentlich davon, ob er beispielsweise soziale Kontakte in der Nachbarschaft pflegt, Einkäufe für den täglichen Lebensbedarf in der näheren Umgebung erledigt, an kulturellen, sportlichen oder religiösen Veranstaltungen in der Nähe seiner Wohnung teilnimmt und/oder medizinische oder andere Dienstleistungen in seiner Wohnumgebung in Anspruch nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19).

Auch wenn eine Verwurzelung in der Umgebung vorliegt, stellt diese allerdings per se noch nicht zwangsläufig eine Härte i. S. d. § 574 Abs.1 S.1 BGB dar. Entscheidend sind stets die konkreten Folgen, die sich aus dem hohen Lebensalter des Mieters und einer sozialen Verwurzelung am bisherigen Wohnort im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels für ihn ergeben (vgl. BGH, Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19). Nur dann, wenn die Verwurzelung so stark ausgeprägt ist, dass sich der Mieter auch wegen seines Alters nicht mehr auf ein neues Wohnumfeld einstellen kann (vgl. LG Bremen, Urteil vom 22.05.2003 – 2-S-315/02) und dies erhebliche Folgen für ihn hätte, die nicht zumutbar sind, kann eine Härte angenommen werden. Derartige Folgen ergeben sich in der Regel aus dem gesundheitlichen Zustand des betagten Mieters. Mit seinem Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19 – entschied der BGH diesbezüglich, dass eine Härte i. S. d. § 574 Abs.1 BGB angenommen werden könne, wenn der bestehende gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder aber, wenn im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels bzw. im Fall des Herauslösens des Mieters aus seiner näheren Umgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu befürchten ist oder zumindest die ernsthafte Gefahr einer erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation besteht. Allerdings müssen die nicht zumutbaren Folgen nicht zwangsläufig gesundheitlicher Natur sein. Auch dann, wenn der Mieter sich in einem hohen Lebensalter befindet, tief am Ort der Mietsache verwurzelt ist und für ihn keine konkrete und realisierbare Chance mehr besteht, sich anderenorts eine vergleichbare Existenz aufzubauen, wird grds. eine Härte bejaht (vgl. LG Berlin, Urteil vom 25.05.2021 – 67 S 345/18).

Entscheidend sind nach alledem die konkreten Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Folgen eines „Herausreißens“ aus der Umgebung, aber auch die Vorgeschichte des Mieters.

Das LG Bremen vereinte z. B. mit seinem Urteil vom 22.05.2003 – 2-S-315/02- das Vorliegen einer Härte i. S. d. § 574 Abs.1 S.1 BGB, obwohl das Mietverhältnis bereits 33 Jahre andauerte und die Mieter 70 und 73 Jahre alt waren. Das Gericht hielt die Mieter für imstande, sich an ein neues Wohnumfeld anzupassen. Bedeutung erlangte dabei auch der Umstand, dass die Mieter nicht alleine, sondern zu zweit lebten. Entscheidender Punkt war aber, dass die Mieter weder Gebrechlichkeit noch geistige Defizite vorgebracht hatten.

Das LG Berlin hingegen bejahte mit Urteil vom 25.05.2021 – 67 S 345/18 – das Vorliegen eines Härtegrundes in einem Fall, in dem das Mietverhältnis mit dem inzwischen 89 – jährigen Mieter bereits 24 Jahre bestand, und begründete dies damit, dass es für den Mieter keine realisierbare Chance gebe, sich in der Nähe zur bisherigen Mietsache und unter Erhalt der sich mittlerweile in der Wohnung etablierten und auf diese beziehenden Strukturen erneut eine Existenz ohne wesentliche Abstriche wieder aufzubauen.

Auch das LG Bochum urteilte mit Beschluss vom 16.02.2007 – 10 S 68/06-, dass eine Eigenbedarfskündigung gegenüber einer betagten Mieterin, der nach 40 -jähriger Mietdauer wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde, für diese deshalb eine Härte darstelle, weil sie sich insbesondere infolge einer Augenerkrankung in einer neuen Umgebung nicht zurechtfinden könne und sich ihre allgemeine Lebenssituation außerdem auch auf Grund einer Verwurzelung in der Umgebung durch den Umzug erheblich verschlechtern würde.

Ebenfalls zu dem Schluss, dass eine Härte i. S. d. § 574 Abs.1 BGB vorliegt, kam das Berliner Kammergericht mit Urteil vom 06.05.2004 – 8 U 288/03 – in einem Fall, in dem der 80- jährige Mieter, der bereits 30 Jahre in seiner Wohnung wohnte, auf einem Auge blind war und auf dem anderen Auge nur eine sehr eingeschränkte Sehkraft besaß. Die Härte ergab sich daraus, dass der Mieter sich infolge dieser Einschränkungen nur in ihm bekannten Räumen, deren Möblierung er kannte, zu Recht finden und sich auch außerhalb der Wohnung nur in seiner bekannten Umgebung allein orientieren konnte, was in einer neuen Umgebung nicht möglich gewesen wäre.

Wichtig:

Lebt der betagte Mieter nicht alleine und würde die Beendigung des Mietverhältnisses nur für ihn, nicht aber für einen oder mehrere weitere Mieter oder Bewohner eine Härte bedeuten, genügt es, dass die Härte nur in der Person des betagten Mieters vorliegt (vgl. LG Bochum, Beschluss vom 16.02.2007 – 10 S 68/06).

V. Interessenabwägung muss zu Gunsten des Senioren ausfallen

Selbst wenn die Eigenbedarfskündigung für einen Senioren unter den zuvor genannten Voraussetzungen eine Härte darstellt, folgt hieraus nicht automatisch, dass ihm auch ein Widerspruchsrecht zusteht. Das Gesetz verlangt in § 574 Abs.1 S.1 BGB nämlich, dass die Härte auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Es bedarf daher einer umfassenden Interessenabwägung. Nur wenn sich ergibt, dass das Interesse des Mieters an der Fortsetzung des Mietverhältnisses gegenüber dem Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses überwiegt, steht dem Mieter das Widerspruchsrecht zu. Ins Verhältnis zu setzen sind hierbei die Nachteile, die für den Mieter im Falle einer Vertragsauflösung entstehen, auf der einen und diejenigen Nachteile, die der Vermieter erleidet, wenn das Mietverhältnis fortgesetzt wird, auf der anderen Seite.

Bzgl. der Interessenabwägung hat der BGH mit Urteil vom 03.02.2021 – VIII ZR 68/19- ausdrücklich betont, dass die Annahme, das hohe Alter des Mieters gebiete gem. § 574 Abs. S.1 BGB auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters in der Regel die Fortsetzung des Mietverhältnisses, unzulässig ist. Bei der Gewichtung des Vermieterinteresses an der Kündigung wegen Eigenbedarfs ist vor allem die Dringlichkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs von Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 15. 03. 2017 – VIII ZR 270/15 ; LG Berlin, Urteil vom 25.05.2021 – 67 S 345/18), die bei starker Ausprägung durchaus zu einem Überwiegen der Vermieterinteressen führen kann.

Anders als bei anderen Härtegründen, überwiegt das Bestandsinteresse des betagten Mieters jedoch statistisch öfter, denn zumindest dann, wenn sich die allgemeine Lebenssituation des Mieters durch den Umzug erheblich verschlechtern würde, so dass ein besonders gewichtiger Härtegrund vorliegt, fällt die Interessenabwägung in der Regel zu Gunsten des Mieters aus (vgl. LG Bochum, Beschluss vom 16.02.2007 – 10 S 68/06). Dies gilt erst recht, wenn ein Umzug zu einer Gefährdung oder Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Mieters führen würde und ihm eine Eingewöhnung in eine neue Wohnumgebung nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. AG, Nürnberg, Endurteil vom 21.11.2019 – 244 C 7495/18; LG Frankfurt a. M., Urteil vom 23. 08. 2011 – 2-11 S 110/11).

Aus alledem folgt zwar nicht, dass der Vermieter im Falle einer Eigenbedarfskündigung gegenüber einem Senioren immer das Nachsehen hat. Das LG Frankfurt a. M. z. B. räumte mit Urteil vom 23. 08. 2011 – 2-11 S 110/11- den Interessen des Vermieters den Vorrang ein, da der gewünschte Umzug in die eigene Wohnung für die weitere Entwicklung der beiden Kinder des Vermieters äußerst vorteilhaft war. Diese Gewichtung der widerstreitenden Interessen war allerdings nur deshalb möglich, weil das Gericht zu dem Schluss kam, dass dem Mieter eine Eingewöhnung in eine neue Wohnumgebung möglich und zumutbar sei, weil ein Umzug des Mieters weder zu einer dramatischen Verschlechterung seiner Lebenssituation noch zu einer akuten Gefährdung seiner Gesundheit führen würde.

VI. Senioren haben oft Anspruch auf unbefristete Fortsetzung des Mietverhältnisses

Hat ein Mieter erfolgreich einen Widerspruch eingelegt, kann er von dem Vermieter gem. § 574a Abs.1 S.1 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses solange verlangen, wie dies unter Berücksichtigung aller Umstände angemessen ist. In der ganz überwiegenden Zahl aller Fälle kann der Mieter nur eine befristete Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zu dem Zeitpunkt beanspruchen, zu dem die nicht zu rechtfertigende Härte voraussichtlich entfällt bzw. sich so abgeschwächt hat, dass eine Räumung zumutbar ist. Da allerdings nicht immer abzusehen ist, wann voraussichtlich die Umstände wegfallen, auf Grund derer die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter eine unzumutbare Härte bedeutet, erlaubt es das Gesetz gem. § 574a Abs.2 S. 2 BGB, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. Dies gilt selbstverständlich erst recht, wenn feststeht, dass das Räumungshindernis nicht entfallen bzw. sich nicht in dem erforderlichen Maße reduzieren wird.

Legen Senioren Widerspruch ein, besteht die geltend gemachte Härte in der überwiegenden Zahl aller Fälle darin, dass sie sich auf Grund einer Verwurzelung in der Umgebung nicht mehr an ein neues Umfeld gewöhnen können und / oder ein Herauslösen aus ihrer Umgebung zu einer Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands führen würde. Derartige Härtegründe sind bei Senioren in der Regel irreversibel, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie entfallen werden (so auch das AG Bergheim, Urteil vom 27. 05.1994 – 27 C 134/94-, das sogar eine Verstärkung prognostizierte). Senioren haben demzufolge in vielen Fällen einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit.

Das AG Nürnberg z.B. ordnete mit Urteil vom 21.11.2019 – 244 C 7495/18 – in einem Fall, in dem ein 87-jähriger pflegebedürftiger Mieter bereits über 50 Jahre in seiner Wohnung wohnte, die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit mit der Begründung an, ein Wegfall der Härtegründe sei nicht ersichtlich, da sich die Gehfähigkeit des Mieters nicht verbessern und auch die Verwurzelung in der Umgebung in Zukunft nicht wegfallen werde.

Auch das LG Bochum (vgl. den Beschluss vom 16.02.2007 – 10 S 68/06) gestand der betagten Mieterin, die an einer Augenerkrankung litt, auf Grund derer sie sich nur in ihrer gewohnten Umgebung zurecht finden konnte, in dem bereits unter IV. erwähnten Fall einen Anspruch auf Fortsetzung des bereits 40 Jahre bestehenden Mietverhältnisses  auf unbestimmte Zeit zu und führte zur Begründung aus, dass sich der gesundheitliche Zustand der Mieterin und ihr Augenleiden verbessern würden, sei zwar wünschenswert, aber realistischer Weise nicht zu erwarten.

Einen Automatismus derart, dass Senioren selbst dann, wenn sie nach langer Mietdauer in der Umgebung verwurzelt sind, im Falle eines Umzugs eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes droht und mit einem Fortfall des Räumungshindernisses nicht zu rechnen ist, immer einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit haben, gibt es jedoch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18; BGH, Urteil vom 10.04.2024 – VIII ZR 114/22). Bei der Beantwortung der Frage, ob der Mieter eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf bestimmte oder auf unbestimmte Zeit verlangen kann, sind auch die Interessen des Vermieters zu berücksichtigen. Je dringender der Wohnbedarf des Vermieters ist, desto eher ist der Fortsetzungsanspruch des Mieters zu befristen (vgl. BGH, Urteil vom 22.05.2019 – VIII ZR 180/18).

VII. Fazit und Zusammenfassung

  1. Auch gegenüber Senioren ist eine Eigenbedarfskündigung unter den Voraussetzungen des § 573 Abs.2 Nr.2 BGB grds. wirksam.
  2. In vielen Fällen stehen Senioren jedoch ein Widerspruchsrecht und ein Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses zu.
  3. Ein solcher Fortsetzungsanspruch besteht vielfach dann,
    • wenn der Mieter nach sehr langer Mietdauer in seiner Umgebung besonders verwurzelt ist und für ihn keine konkrete und realisierbare Chance mehr besteht, sich anderenorts eine vergleichbare Existenz aufzubauen, und / oder
    • wenn der schlechte gesundheitliche Zustand des Mieters einen Umzug nicht zulässt oder aber, wenn im Fall eines erzwungenen Wohnungswechsels bzw. im Fall des Herauslösens des Mieters aus seiner näheren Umgebung eine Verschlechterung seines gesundheitlichen Zustands zu befürchten ist.
  1. Allerdings bedarf es stets einer am konkreten Einzelfall orientierten Abwägung der widerstreitenden Interessen, wobei die Interessen des Vermieters umso mehr an Gewicht gewinnen, je dringender sein Wohnbedarf ist.
  2. Da die von Senioren geltend gemacht Härte meistens darin besteht, dass sie sich auf Grund einer Verwurzelung in der Umgebung nicht mehr an ein neues Umfeld gewöhnen können und / oder ein Herauslösen aus ihrer Umgebung zu einer Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustands führen würde, haben betagte Mieter in vielen Fällen einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit, da diese Härtegründe in der Regel unumkehrbar sind und mit einem Wegfall des Räumungshindernisses nicht gerechnet werden kann.

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