Die Eigenbedarfskündigung stellt die weitaus häufigste Form der vermieterseitigen ordentlichen Kündigung dar. Dieses in § 573 Abs.2 Nr.2 BGB geregelte Kündigungsrecht ermöglicht es dem Vermieter allerdings – anders als der Name vermuten lässt – nicht nur dann, das Mietverhältnis zu kündigen, wenn er die Wohnung selbst nutzen möchte, sondern auch in denjenigen Fällen, in denen er den Wohnraum Familienangehörigen oder Angehörigen seines Haushalts zur Verfügung stellen möchte. Die Beantwortung der Frage, ob die Bedarfsperson zu dem zulässigen Personenkreis gehört, für den Eigenbedarf geltend gemacht werden darf, bereitet dann grds. keine Probleme, wenn der Vermieter kündigt, um die Wohnung selbst zu nutzen. Immer wieder zu Streit kommt es jedoch in denjenigen Fällen, in denen der Vermieter die Kündigung mit der Begründung ausspricht, sie einem Familienangehörigen überlassen zu wollen. Dann nämlich stellt sich die Frage, ob es sich bei dieser Person tatsächlich um einen Familienangehörigen handelt.
Bisherige Einstufung von Cousin und Cousine
Die Rechtsprechung unterscheidet zur Beantwortung der Frage, ob es sich bei der Bedarfsperson um einen Familienangehörigen i. S. d. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB handelt, zwischen solchen Personen, die allein im Hinblick auf ihre nahe familiäre bzw. verwandtschaftliche oder schwägerschaftliche Beziehung zum Vermieter ohne weitere Prüfung zum begünstigten Personenkreis gehören, und solchen entfernteren verwandten oder verschwägerten Personen, für die Eigenbedarf nur dann geltend gemacht werden kann, wenn diese im Einzelfall nachweisbar eine enge soziale Bindung zum Vermieter haben.
Cousin und Cousine wurden bislang insbesondere von den Instanzgerichten ganz überwiegend zwar als potentielle Familienangehörige i. S. d. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB angesehen. Sie wurden allerdings in die zweite Gruppe eingestuft, so dass der Nachweis weiterer besonderer Umstände erforderlich war, aus denen sich eine enge Bindung des Vermieters zu dieser Person ergibt.
Worüber der BGH zu entscheiden hatte
Selbst dann, wenn der Nachweis einer engen Bindung der Bedarfsperson zum Vermieter erbracht wird, wird eine Eigenbedarfskündigung zugunsten eines Cousins oder einer Cousine in Zukunft nicht mehr möglich sein, wenn man aus der Entscheidung des BGH vom 10.07.2024 die folgerichtigen Schlüsse zieht. Gegenstand dieser Entscheidung war zwar gar nicht die Frage, ob es sich bei der Person, der die Wohnung überlassen werden sollte, um einen Familienangehörigen des Vermieters i. S. d. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB handelte. Entscheidungserheblich war vielmehr die Beantwortung der Frage, ob es sich bei der kündigenden Vermieterin um eine Familie handelte oder nicht. Der Hintergrund war folgender:
Eine aus zwei Cousins bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) erwarb eine bereits vermietete Wohnung und kündigte das bestehende Mietverhältnis, damit die Wohnung anschließend von einem der Cousins bezogen werden konnte. Die Frage, ob die Bedarfsperson zu dem zulässigen Personenkreis gehört, für den Eigenbedarf geltend gemacht werden darf, warf in diesem Fall keine Probleme auf, da die Wohnung zwar nicht von beiden, aber von einem der Gesellschafter selbst und nicht von einem Familienangehörigen der Vermieterin bewohnt werden sollte, was für eine Kündigung mit Selbstnutzungsabsicht ausreicht (vgl. BGH, Urteil vom 27.06.2007 – VIII ZR 271/06). Entscheidend war vielmehr die Beantwortung der Frage, ob die beiden Cousins eine Familie i. S. d. § 577a Abs.1a S.2 BGB bildeten.
Exkurs zu § 577a BGB – Kündigungssperrfrist
Eine wesentliche Einschränkung erfährt das Recht des Vermieters, das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zu kündigen, durch die Sperrfrist des § 577a BGB. Diese Regelung betrifft Vermieter, die den Mietvertrag nicht selbst mit dem Mieter abgeschlossen haben, sondern dadurch, dass sie das Eigentum an der Wohnung in bereits vermietetem Zustand erworben haben, gemäß § 566 BGB in die Vermieterstellung eingetreten sind. In solch einer Konstellation versagt das Gesetz dem neuen Vermieter gemäß § 577a Abs. 1 BGB für die Dauer von mindestens drei Jahren seit dem Erwerb das Recht, das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs zu kündigen, wenn an der erworbenen Wohnung nach der Überlassung der Wohnung an den Mieter, aber vor der Veräußerung der Wohnung an den jetzigen Vermieter Wohnungseigentum begründet worden ist.
Um zu verhindern, dass die Sperrfrist dadurch umgangen wird, dass einzelne Wohnungen nicht erst nach ihrer Umwandlung in Wohnungseigentum an verschiedene Erwerber veräußert werden, sondern sich die künftigen Erwerber zu einer Erwerbergemeinschaft zusammentun, die Wohnungen gemeinschaftlich erwerben und erst anschließend daran Wohnungseigentum begründen, um diese dann auf die Mitglieder der Gemeinschaft zu übertragen, bestimmt § 577a Abs. 1a BGB, dass die Kündigungssperrfrist auch dann gilt, wenn vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter an eine Personengesellschaft oder an mehrere Erwerber veräußert worden ist. Die Umwandlung in Wohnungseigentum muss nicht vor der Veräußerung erfolgt sein. Selbst wenn dies gar nicht mehr geschieht oder niemals beabsichtigt war, bleibt es dabei, dass die Sperrfrist zur Anwendung kommt. Keine Sperrfrist gilt gemäß § 577a Abs. 1a S.2 BGB allerdings insbesondere, dann wenn die Gesellschafter oder Erwerber derselben Familie oder demselben Haushalt angehören.
In dem der Entscheidung des BGH vom 10.07.2024 zu Grunde liegenden Fall berief sich die kündigende Gesellschaft auf diese Ausnahmeregelung und hielt die Vorschrift des § 577a Abs.1a S.1 BGB über die Kündigungssperrfrist für nicht anwendbar.
BGH legt Begriff der Familie enger aus als bisher
Der BGH hob die vorinstanzliche Entscheidung des LG Berlin, das der von der GbR erhobenen Räumungsklage stattgegeben hatte, jedoch auf. Nach der Ansicht der Richter kam die Kündigungssperrfrist des § 557a Abs.1 BGB zur Anwendung, weil es die Voraussetzungen der Ausnahmeregelung in § 577a Abs.1a S.2 BGB für nicht gegeben hielt. Zur Begründung führt das Gericht aus, bei der kündigenden GbR handele es sich nicht um eine Gesellschaft, die eine Familie i. S. d. § 577a Abs.1a S.2 BGB bilde. Der Begriff der Familie sei eng auszulegen und umfasse ausschließlich diejenigen Personen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zustehe.
Exkurs – Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 Abs.1 Nr.3 ZPO und § 52 Abs.1 Nr.3 StPO
Gem.§ 383 Abs.1 Nr.3 ZPO und § 52 Abs.1 Nr.3 StPO steht solchen verwandten Personen, die – wie Cousins und Cousinen – nicht in gerader Linie, sondern in der Seitenlinie mit einer Partei bzw. einem Beschuldigten verwandt sind, nur dann ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52 StPO zu, wenn sie bis zum dritten Grad mit der Partei bzw. dem Beschuldigten verwandt sind. Cousins und Cousinen sind jedoch im 4.Grad miteinander verwandt, so dass ihnen kein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht.
Ein entfernterer Verwandter, der – wie ein Cousin – nicht nach § 383 ZPO, § 52 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, gehöre daher – so der BGH – auch dann nicht zu dem von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Personenkreis, wenn zwischen ihm und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung besteht. Ebenso gelte die Privilegierung des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB selbst im Falle einer engen persönlichen Verbundenheit zwischen den Mitgesellschaftern nicht, wenn das Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihnen so entfernt sei, dass es sie nicht zur Zeugnisverweigerung nach § 383 ZPO, § 52 StPO berechtige. Mit der Privilegierung von Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB habe der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft typischerweise ein Verhältnis persönlicher Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität bestehe, das die Ermöglichung einer Kündigung zu Gunsten Familienangehöriger rechtfertige. Auch die Privilegierung von Familienangehörigen in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB beruhe auf der Überlegung, dass aufgrund der engen persönlichen Bindung ein legitimes Interesse an der (zeitnahen) Geltendmachung des Eigenbedarfs bestehe.
Mit § 383 Abs.1 Nr.3 ZPO und § 52 Abs.1 Nr.3 StPO habe der Gesetzgeber gezeigt, dass er an Hand einer typisierenden Betrachtungsweise nach objektiven Kriterien, nämlich dem Grad der familiären Beziehung, darüber entschieden habe, welche verwandten oder verschwägerten Personen die Privilegierung eines Zeugnisverweigerungsrechts verdienten. Ebenso wie es diese typisierende Betrachtungsweise verbiete, für den vom Gesetzgeber privilegierten Personenkreis zusätzlich das Vorliegen eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses zu fordern, scheide eine Erweiterung dieses geschützten Personenkreises auf Grund einer einzelfallbezogenen Prüfung des Vorliegens einer besonderen sozialen Nähe aus.
Auch wenn der Gesetzgeber in § 573 Abs.2 Nr.2 BGB und in § 577a Abs.1a S.2 BGB nicht konkretisiert habe, wann typischer Weise eine persönlichen Nähebeziehung und Verbundenheit anzunehmen sei, sei es sachgerecht, die vom Gesetzgeber für das Zeugnisverweigerungsrecht in § 383 Abs.1 Nr.3 ZPO und § 52 Abs.1 Nr.3 StPO getroffenen Wertungen auch für die ebenfalls in der persönlichen Verbundenheit begründeten Privilegierungen von Familienangehörigen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB heranzuziehen.
Konsequenzen der Entscheidung für den Kreis der Bedarfspersonen i. S. d. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB
Auch wenn der BGH in dem der Entscheidung vom 10.07.2024 zu Grunde liegenden Fall darüber zu entscheiden hatte, ob zwei Cousins einer Familie i. S. d. Ausnahmetatbestandes des § 577a Abs.1a S.2 BGB angehören und die Richter nicht unmittelbar darüber urteilen mussten, ob die Wohnung einem Familienangehörigen i. S. d. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB überlassen werden sollte, hat die Entscheidung unmittelbare Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs des Familienangehörigen i. S. d. § 573 Abs.2 Nr.2 BGB und die Anwendung des Kündigungstatbestandes. Der BGH bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass der Begriff der “Familie” i. S. d. § 577a Abs.1a S.2 BGB mit dem der “Familienangehörigen” in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB von seiner Bedeutung her identisch sei und begründet seine Entscheidung mit der nicht nur § 577a Abs.1a S.2 BGB, sondern auch § 573 Abs.2 Nr.2 BGB zugrundeliegenden Wertungsentscheidung des Gesetzgebers.
Auf Grund der gegenüber § 577a Abs.1a S.2 BGB weitaus größeren Praxisrelevanz des § 573 Abs.2 Nr.2 BGB wird die Entscheidung daher in erster Linie Auswirkungen auf die Anwendung des Kündigungstatbestandes des § 573 Abs.2 Nr.2 BGB haben.
Fazit und Ausblick
Bei konsequenter Beachtung des Urteils vom 10.07.2024 wird eine Eigenbedarfskündigung mit dem Ziel, die Wohnung einem Cousin oder einer Cousine zu überlassen, auch dann nicht mehr möglich sein, wenn zwischen ihm bzw. ihr und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung besteht. Dies hat zur Folge, dass es in diesen Fällen auf der einen Seite zwar nicht mehr zu langwierigen Auseinandersetzung über das Bestehen einer engen persönlichen Bindung kommen wird. Es wird aber andererseits auch nicht ausbleiben, dass die vom BGH vorgenommene Auslegung des Begriffs der „Familie“ und des „Familienangehörigen“ ungerechte, oder zumindest ungerecht scheinende Ergebnisse hervorbringt. Die Rechtsprechung des BGH lässt es nämlich zu, dass der Vermieter zugunsten eines dem gesetzlichen Verwandtschaftsgrad nach nahen Verwandten, zu dem aber keine persönliche Bindung besteht, kündigen kann, während dies zu Gunsten eines dem Gesetz nach entfernteren Verwandten nicht möglich ist, auch wenn zwischen der Bedarfsperson und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung vorhanden ist.
Schreiben Sie einen Kommentar